Freitag, 11. September 2015

Mit Verlaub, Herr Kelle,

aber DAS war kein Meisterstück.

Ich kenne Herrn Kelle nicht, bin auch auf Facebook nicht mit ihm befreundet, aber gelegentlich verlinkt der eine oder andere meiner Freunde den einen oder anderen Beitrag Herrn Kelles zu dem ein oder anderen Thema.

Nun fragt er in seinem Beitrag
"Wo sind all die Hilfsbereiten eigentlich vorher gewesen?"
und stellt fest
"Hundertausende Flüchtlinge strömen derzeit in dieses Land. Und es funktioniert auf einmal alles."
um sich letztendlich die Frage zu stellen
"Warum hat diese Gesellschaft, warum haben Staat und Kirche früher nicht mit gleicher Hilfsbereitschaft auf unsere Landsleute in Not reagiert? Warum hat man Menschen, denen vielleicht nach einer Scheidung oder Pleite das Leben völlig entglitten ist, nicht ebenso geholfen? Wenn ich jetzt die Bilder von jubelnden Menschen mit "refugeeswelcome"-Schildern sehe, frage ich mich unwillkürlich: Wo wart ihr eigentlich bisher?"
Ich frage mich nach dem Lesen dieses Blogbeitrages auch so einiges. Vor allem frage ich mich jedoch:

Leben wir wirklich im gleichen Deutschland, Herr Kelle und ich?

Es funktioniert "auf einmal" alles? Ach so... ja... das heißt also, es gibt im Grunde in Deutschland überhaupt kein Flüchtlings"problem", weil wir alles bestens im Griff haben? Kann das unserer Regierung und auch den Kommunen bitte mal jemand sagen? Ich glaube, die wissen das noch gar nicht.

Ja, aber wo waren sie denn nun in der Vergangenheit, der "Staat" und die "Kirche", nach denen Herr Kelle fragt, und auch die vielen privaten Helfer?

Haben wir im Staate Deutschland denn keine funktionierenden Sozialsysteme? Sicher, sie sind nicht perfekt, und auszusetzen findet man genug. Aber ehrlich und nüchtern betrachtet, müssen wir doch für Deutschland folgendes zugeben:

Niemand muss verhungern.
Niemand muss auf der Straße schlafen.
Niemandem wird die lebensrettende Operation versagt, weil ihm das Geld fehlt, diese zu bezahlen.

Ich könnte das noch sehr viel weiter ausführen, von freier Schulbildung bis hin zur Krankenversicherung für alle. Und ich könnte (und müsste dann) natürlich auch ausführen, wo und was es hier und überall zu bemängeln gäbe, was verbesserungswürdig wäre etc. Aber die Behauptung, der Staat habe auf unsere "Landsleute in Not" in der Vergangenheit nicht in vielfacher Weise eben durch das gebeutelte Sozialsystem reagiert, ist schon eine arg steile These.

Die Kirche. Ja, was soll ich dazu sagen? Ach so, Moment mal, jetzt hab' ich das wohl verstanden: Die ganze Kirchensteuer, die man uns seit Jahren abzieht, sie war nur dazu da, goldene Badewannen und Protzbauten zu zahlen. Alle karitativen Einrichtungen der Kirche wurden dagegen erst in den letzten Wochen, und dann auch eben nur für die Flüchtlinge gegründet.

Und dann - nicht zuletzt - der einzelne private Helfer. Hat er/sie wirklich vor der Flüchtlingskrise nur auf dem Sofa gesessen und Popcorn gegessen und ist ansonsten an den Hilfsbedürftigen des Landes geschlossenen Auges vorübergegangen?

Was ist mit den vielen, vielen Ehrenamtlichen, ohne die Einrichtungen wie z.B. "Die Tafel" undenkbar wäre? Ehrenamtliche, die schwachen (deutschen) Schülern unentgeltlich Hausaufgabenhilfe erteilen? Ehrenamtliche, die in Krankenhäusern Besuchsdienste leisten bei Patienten, die keine Familie haben, die sich kümmert? Ehrenamtliche Helfer für Behinderte? Ehrenamtler beim THW? Um nur einige wenige zu nennen.

Und was ist mit dem ganz einfachen Menschen von nebenan? Der für die ältere Nachbarin die Einkäufe erledigt? Der dem Bettler auf der Straße trotzdem den Euro zusteckt, obwohl er immer wieder hört "Rausgeworfenes Geld - der kauft ja doch nur Alkohol für dein Geld!". Oder der sich schützend vor das Prügelopfer stellt - und dafür womöglich selber Schläge einsteckt?

Natürlich erleben wir gerade eine enorme öffentliche Welle der Hilfsbereitschaft. Aber genau das ist der Punkt: Der Flüchtlingswelle, wie wir sie heute erleben, erhält verständlicherweise eine riesige mediale Aufmerksamkeit. Und im gleichen Scheinwerferlicht finden sich auch die nun anlaufenden Hilfen wieder - ebenso wie die "Jubeldeutschen" mit ihren "welcome"-Schildern.

Man darf dabei wohl derzeit gerne mal übersehen, dass es auch vorher schon Hilfe und Helfer für (deutsche) Menschen in Not gab.

Aber ihnen gleich die Existenz abzusprechen - so weit sollte man sich nicht versteigen.

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