Sonntag, 15. Oktober 2017

Vergiftete Komplimente



Einen Tag später...
Ja, da muss nun ein Update her.

Seit ich ihn gestern geteilt habe, wurde zu dem Beitrag auf meiner Facebook-Wall viel und teils emotional diskutiert. Ich danke allen Beteiligten, egal, ob sie meiner Meinung sind, oder meine Ansichten zum Kuckuck wünschen.


Allerdings möchte ich als Folge der Diskussionen einige Dinge klären bzw. noch einmal ausführen oder betonen.


Ganz wichtig, und von einigen offenbar missverstanden: Mein Beitrag ist keine Antwort auf Frau Cheblis Posting, sondern auf die Reaktionen, die ihr Posting hervorgerufen hat.


Ich fand es daher auch sehr traurig, dass teilweise eher über Frau Cheblis sicherlich überzogene („Unter Schock“ – so ihre Worte) und auch wenig souveräne Reaktion auf die ihr zuteil gewordene Behandlung diskutiert wurde, als über die eigentlichen Verursacher des Mini-Eklats.



Selbst Schuld, wenn sie sich getroffen fühlt. Selbst Schuld, wenn sie nicht mit Komplimenten umgehen kann. Selbst Schuld, wenn sie mit ihren jungen Jahren noch nicht die Nonchalance einer erfahreneren 50jährigen besitzt.


Und dann haben wir noch jene, die weiterhin fragen:

„Ist das wirklich so schlimm? Hätte er das wirklich nicht sagen dürfen? War es nicht doch nur ein nettes und harmloses Kompliment?“


Stimmt! Ihr habt Recht!


Doch, ganz im Ernst: Es ist nicht schlimm, und ja, er hätte das zur ihr sagen dürfen, und ja, es wäre ein nettes und harmloses Kompliment gewesen…

…WENN er es NACH der offiziellen Veranstaltung gemacht hätte, bei einem zwanglosen Gespräch unter vier Augen, als augenzwinkernde Erklärung und Entschuldigung, weshalb er sie zuerst nicht als die erwartete Staatssekretärin erkannt habe.

Von einem Menschen, der schon seit einigen Jahren auf der politischen Bühne tätig ist, erwarte ich, dies zu wissen. Handelt er nicht nach diesem Wissen, unterstelle ich Vorsatz.


Heute habe ich eine interessante und doch auch traurige Diskussion rund ums Thema "Vergiftete Komplimente" erlebt.

Doch gehen wir ein wenig ins Detail:

Jemand postete einen Facebook-Beitrag von Sawsan Chebli. Die Dame war mir, ich gebe es zu, bis dahin völlig unbekannt - sie ist, wie ich inzwischen "ergooglet" habe, eine deutsche Politikerin, die als Kind mit ihrer Familie aus Palästina als Flüchtling nach Deutschland gelangte.

Folgendes hat Frau Chebli geschrieben:
"Unter Schock - Sexismus
Vorfall: Ich sollte heute Morgen eine Rede halten. Vier Männer sitzen auf dem Podium. Ich setze mich auf den reservierten Platz in die erste Reihe. Vorsitzender vom Podium aus: „Die Staatssekretärin ist nicht da. Ich würde sagen, wir fangen mit den Reden dennoch an.“ Ich antworte ihm aus der ersten Reihe: „Die Staatssekretärin ist da und sitzt vor Ihnen. Er antwortet: „Ich habe keine so junge Frau erwartet. Und dann sind Sie auch so schön.“ Ich war so geschockt und bin es immer noch. Ich bin jedenfalls ans Pult: „Sehr geehrter Herr Botschafter a.D., es ist schön, am Morgen mit so vielen Komplimenten behäuft zu werden.“ Im Saal herrschte Totenstille. Dann habe ich meine Rede abwechselnd in deutscher und englischer Sprache frei gehalten. Es war ein internationales Forum.
Klar, ich erlebe immer wieder Sexismus. Aber so etwas wie heute habe auch ich noch nicht erlebt."
Ob man politisch mit Frau Chebli einer Meinung ist, ist irrevelant. Ebenfalls irrelevant ist, ob man nun gleich "unter Schock" stehen muss, angesichts einer Begebenheit, wie sie Frauen in wechselnder Form leider auch heute noch durchs tägliche Leben begleitet.

"ne Klatsche haben..."

Schockierend fand ich dagegen schon den Kommentar, mit dem Frau Cheblis Beitrag geteilt wurde:
"Nur weil man eine Rede abwechselnd in deutscher und englischer Sprache halten kann, bedeutet nicht, dass man nicht trotzdem ne Klatsche haben kann ..."
 Aha. Eine Frau, die ein Kopliment als sexistisch einstuft, muss natürlich "ne Klatsche haben".

Und es gab in der Folge einige - meist Männer - die mehr oder weniger gröhlend zustimmten.

Auf den ersten Blick könnte man das so sehen. Was ist denn schon dabei, wenn ein Mann einer Frau ein Kompliment über ihr Aussehen macht? Einer der Mitdiskutanten verstieg sich sogar zu der Annahme, wenn ich damit ein Problem hätte, wäre ich sicher auch beleidigt, wenn er mir an der Türe den Vortritt ließe.

Türen öffnen? Aber immer!

Mitnichten, guter Mann! Männer, die Türen für Frauen öffnen, sind mir hochsympatisch. Jedenfalls viel sympatischer als jene Exemplare ihres Geschlechts, die wieder und wieder genau das Gegenteil versuchen. Denn nichts anderes war der oben von Frau Chebli geschilderte Vorfall: Eine Tür, die ihr klatschend vor der Nase zugeschlagen werden sollte.

Nein, meine Herren, es geht nicht darum, dass ihr keine Komplimente machen dürft. Ich finde es zwar süß, wie ihr euch im Verlauf der Diskussion teils fast schon weinend in die Opferecke stellen wolltet - man wisse als Mann ja ohnehin kaum noch, was man sagen dürfe, ohne gleich als sexistisch verdammt zu werden - aber da möchte ich dann doch mit einem schulterzuckenden
"Na, dann heult doch!"
antworten.

Kommt schon, Jungs, stellt euch nicht dumm! Es ist ein verdammt großer Unterschied, wann, wo, zu wem, und bei welcher Gelegenheit ein und dasselbe Kompliment gemacht wird!
"Ich habe keine so junge Frau erwartet. Und dann sind Sie auch so schön.“
Ein großartiges Kompliment beim Kennenlernen auf der Sylvesterparty.

Ein vielleicht so gerade noch passendes Kompliment bei der ersten Begegnung mit der Ehefrau eines Kollegen (abhängig von der Eifersucht des Ehemannes).

Ein witziges Kompliment vom Grundschüler zum ersten Arbeitstag der neuen Lehrerin.

Ein absolut unangebrachter Kommentar, was sowohl Anlass als auch Ort der hier geschilderten Begebenheit betrifft.

Ein Vergleich

Wie ich eben schon in der Diskussion schrieb (und damit die gesammelte Empörung auf mich zog):
"Man stelle sich einmal vor, die Staatssekretärin wäre ein Staatssekretär gewesen, und die Vorsitzende hätte ihn mit den Worten begrüßt "Ich hätte keinen so jungen Mann erwartet, und noch dazu einen mit einem so knackigen Hintern."
Gut, man versuchte natürlich, diese Einrede abzuschmettern, indem man anführte, der "knackige Hintern" sei ja nun auch etwas gaaaanz anderes. Dass beides - jedes auf seine Art - in der vorgenannten Situation gleich unangebracht gewesen wäre, wollte man nicht einsehen. Sei's drum - schauen wir uns den Satz also einmal wirklich 1:1 an:

Die Vorsitzende begrüßt den Staatssekretär mit den Worten
"Ich habe keinen so jungen Mann erwartet. Und dann sind Sie auch noch so schön."
Kein Problem? Ehrlich jetzt?

Den ersten Satz mag man sich ja "gefallen" lassen (übrigens auch in Hinsicht auf Frau Chebli): Warum sollte mann/frau nicht unter dem Titel "Staatssekretär" einen wesentlich älteren Menschen erwartet haben und nun überrascht reagieren?

Altherren-Athmosphäre

Teil 2 jedoch ist ein vergiftetes Kompliment, und es ist ein Gift, das seit Jahrzehnten immer wieder gegen Frauen eingesetzt wird, die sich eine gewisse Position - beruflich oder, wie hier, in der Politik - erarbeitet haben.

Es ist das Gift der "Reduzierung" innerhalb einer Umgebung, die ein anderer Bekannter so trefflich mit
"Altherren-Athmosphäre"
beschrieben hat.

Da sitzen ein paar Männer und reduzieren mit einem innerlichen "Hö-hö-hö!" eine Frau, ihren Intellekt, ihr Wissen, ihre Arbeit, ihre Kompetenz, ihre berufliche Stellung, ihre ganze Persönlichkeit, auf eine Sache: Ihr Aussehen.

Und man weiß nicht, was schlimmer ist:

Dass diese Herren wahrscheinlich auch noch erwarten, dass das so herab-komplimentierte Weibchen mit einem errötenden Knicks artig dankt...

...oder dass ihr Verhalten im Jahr 2017 noch derart viele - auch weibliche - Claqueure findet.

1 Kommentar:

  1. Das ist sehr wahr, wird aber wohl nicht mehrheitlich verstanden.

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